Rede von ICAN auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank

Sehr geehrte Aktionärinnen und Aktionäre,

Sehr geehrte Mitglieder des Vorstands und Aufsichtsrats,

mein Name ist Jonathan Seel. Ich spreche heute für ICAN, die Internationale Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen.

ICAN untersucht seit 2014 in einer Studie, wer in die Herstellung und Entwicklung von Atomwaffen investiert. Laut unserer Studie haben in den letzten drei Jahren 329 Investoren 20 Atomwaffen-Firmen Finanzmittel in Höhe von 525 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Atomwaffen sind ein Bombengeschäft.

Die betroffenen Firmen stellen Atombomben, Atomsprengköpfe und Atomraketen her. Sie sind an der weltweiten Modernisierung nuklearer Arsenale beteiligt. Damit erhalten sie die Gefahr eines Atomkriegs aufrecht. Sie verhindern Fortschritte bei der atomaren Abrüstung, zu der sich alle Staaten rechtlich bindend im Atomwaffensperrvertrag verpflichtet haben. Und sie befeuern die Weiterverbreitung von Atomwaffen, die das perfide Gleichgewicht des Schreckens immer unzuverlässiger und riskanter machen.

Unter den größten Investoren weltweit war auch die Deutsche Bank: zwischen 2014 und 2017 unterhielt sie Geschäftsbeziehungen zu 13 der 20 Atomwaffenfirmen, die wir in unserer Studie erfasst haben.

Darum freuen wir uns sehr, dass die Deutsche Bank gestern eine neue Richtlinie zu kontroversen Waffen veröffentlicht hat. Demnach will die Deutsche Bank mit Unternehmen, die direkte Verbindungen zu Streumunition, Anti-Personenminen, Chemiewaffen, biologischen Waffen und Atomwaffen haben, „weder eine neue Geschäftsbeziehung eingehen noch bestehende Geschäftsbeziehungen fortführen“.

Wir finden: das ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Mit der neuen Richtlinie können Sie helfen, das Risiko eines Atomwaffeneinsatzes zu senken.

Klar ist jedoch: Erst die praktische Umsetzung zeigt, ob die Richtlinie wirklich etwas verändert. An einigen Stellen ist sie leider noch sehr vage. Wir sind überzeugt: nur eine konsequente Anwendung auf alle Atomwaffen-Hersteller macht die Richtlinie glaubwürdig.

Wir sehen es kritisch, dass die Richtlinie Ausnahmen vorsieht. Sie schreiben: „Unter besonderen Umständen darf die Transaktion fortgeführt werden, wenn die betreffende Transaktion selbst nicht direkt mit einem kritischen Waffengeschäft in Verbindung steht.“

Dazu habe ich folgende Frage an den Vorstand:

Sollen Ausnahmen in der Richtlinie zu kontroversen Waffen auch für Kredite an das Unternehmen als Ganzes möglich sein? Oder sind Ausnahmen nur für einzelne Transaktionen möglich, die speziell im Zusammenhang mit anderen Geschäftsbereichen des Unternehmens stehen?

Wenn die Ausnahmen für Kredite an das Gesamtunternehmen gelten sollen, dann hieße das ja, das sich an Ihrer Geschäftspraktik nichts Wesentliches verändert. Eine schriftliche Zusicherung eines Unternehmens, einen Kredit nicht für die Herstellung von Atomwaffen zu verwenden, nützt nichts: es wird für die Firma ja trotzdem Liquidität frei, die dann auch für Atomwaffen verwendet wird. Der einzige Weg, die Unterstützung der Produktion von Atomwaffen auszuschließen ist es, das ganze Unternehmen auszuschließen.

Die neue Richtlinie sieht vor, dass Geschäfte mit Firmen, die, Zitat, „eindeutige und direkte Verbindungen“ zur Herstellung von Atomwaffen haben, nicht mehr möglich sind. Das bedeutet für uns ganz klar, dass sich an Ihrer Geschäftspraxis etwas ändern muss. Denn die „direkte Verbindung“ ist bei den 13 Unternehmen, in die die Deutsche Bank laut unserer Studie investiert, klar und eindeutig gegeben. Ich möchte das mit zwei Beispielen verdeutlichen.

Ein Beispiel ist die Firma Honeywell International. Die Deutsche Bank hat Honeywell zwischen 2013 und 2017 Kredite in Höhe von rund 1,4 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt.

Honeywell ist Miteigentümer von Savannah River Nuclear Solutions. Savannah River, im amerikanischen Bundesstaat Georgia, ist eine Einrichtung, in der Tritium hergestellt wird. Tritium ist ein radioaktives Isotop des Wasserstoff. Dieses Material wird benötigt, um Wasserstoffbomben herzustellen.

Die Atombombe von Hiroshima hatte noch ein relativ simples Design. Ihre Sprengkraft betrug 13 Kilotonnen. Das war allerdings genug, um eine ganze Stadt dem Erdboden gleichzumachen, hunderttausende Menschen zu töten, und viele ihr Leben lang krank zu machen. Nie mehr Hiroshima! Nie mehr Nagasaki! So lautet bis heute die Mahnung der Überlebenden.

Die Arsenale der meisten Atommächte bestehen heute Atombomben mit einer sehr viel größeren Sprengkraft von mehreren hundert Kilotonnen. Diese Bomben heißen Wasserstoffbomben. Wir haben Glück gehabt, dass eine solche Waffe niemals eine Stadt getroffen hat. Die Auswirkungen würden die Katastrophe von Hiroshima in den Schatten stellen. Indem sie Honeywell unterstützt, ist die Deutsche Bank für diese Gefahr mitverantwortlich.

Die Daten, die wir über die humanitären Auswirkungen von Wasserstoffbomben haben, stammen von den Atomtests im Pazifik. Die radioaktiven Wolken zogen hunderte Kilometer weit. Die Menschen, die auf den Atollen lebten werden nie in ihre Heimat zurückkehren können. Ihre Inseln sind für die nächsten 24.000 Jahre unbewohnbar.

Für Wasserstoffbomben braucht man Tritium, und für Tritium brauchen die USA Honeywell. Darum erwarten wir von der Deutschen Bank die Beendigung der Geschäfte mit Honeywell.

Ein zweites Beispiel: Die Deutsche Bank hat den Firmen Airbus, Safran und Thales Finanzmittel in Höhe von rund 1,5 Milliarden US-Dollar zur Verfügung gestellt. Airbus, Safran und Thales produzieren gemeinsam die M-51-2. Das ist die neueste französische Atomrakete. Eine solche Rakete trägt acht Sprengköpfe. Frankreich will 48 dieser Raketen bauen. Bei einer sehr konservativen Schätzung ist das genug, um 40 Millionen Menschen zu töten.

Die französische Nukleardoktrin sieht zudem den Ersteinsatz von Nuklearwaffen vor. Ein sogenannter “Warnschuss” mit Atomwaffen soll Entschlossenheit demonstrieren, nach dem Motto “eskalieren, um zu deeskalieren”. Diese Politik ist Irrsinn. Sie setzt unsere Zukunft aufs Spiel.

Die M51, die Airbus, Safran und Thales gemeinsam bauen, wird ausschließlich mit nuklearen Sprengköpfen bestückt. Sie ist kein Dual-Use-Produkt. Es geht hier auch nicht um einzelne Bauteile. Entsprechend Ihrer neuen Richtlinie erwarten wir daher, dass die Deutsche Bank die Geschäftsbeziehungen zu diesen Firmen beendet, oder sie dazu bewegt, die Atomraketenproduktion einzustellen.

Sehr geehrte Damen und Herren,

wir beglückwünschen Sie zu Ihrer neuen Richtlinie. Jetzt erwarten wir, dass den Worten Taten folgen. Die Deutsche Bank sollte eine Ausschlussliste veröffentlichen, um zu klären, welche Firmen von Ihrer Definition betroffen sind. Und sie sollte regelmäßig über die Umsetzung Bericht erstatten.

Sie haben einen wichtigen Schritt getan – aber das ist nicht das Ende, sondern erst der Anfang. Mit etwas Glück trägt dieser Anfang zum Ende der atomaren Bedrohung bei. Eines ist klar: Entweder wir schaffen die Atomwaffen ab, oder die Atomwaffen schaffen uns ab.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.